Das Zepter ist übergeben
Datum: Mittwoch, 23. November 2005 um 00:19
Thema: Deutschland-Politik


Zum zweiten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland regiert eine Große Koalition. Und zum ersten Mal ist mit Angela Merkel eine Kanzlerin an der Spitze einer Regierung.

Die erste kurze Ära einer Großen Koalition war in den Jahren 1966 bis 1969. Zu jener Zeit zerbrach die Koalition Union/FDP. Dem Bundeskanzler Erhard wurden Führungskompetenzen abgesprochen. Die SPD bekam das erste Mal die Gelegenheit, an der Regierung mitzuwirken, mit Kiesinger (CDU) an der Spitze. Damals klagte man unter der Rezession, die es aufzuhalten galt. Zwei angestrebte Reformen bewegten die Innenpolitik: die Notstandsgesetze, die dann auch in das Grundgesetz verankert wurden, und eine Wahlreform wurde angestrebt. Die Umstellung auf das Mehrheitswahlrecht scheiterte an der SPD. Mit der absoluten Mehrheit im Bundestag war es eigentlich kein Schweres mehr, Reformen durchzubringen. Allerdings war die Frage damals wie heute, wie weit die beiden großen Fraktionen einig werden können.

Von Mangel an Führungskompetenz kann man bei Gerhard Schröder ganz gewiss nicht sprechen. Sonst hätte er sich nicht sieben Jahre gehalten. Eine Umfrage listet ihn hinsichtlich der Beliebtheit deutscher Kanzler auf einem vorderen Platz. Auf Platz eins rangiert Helmut Schmidt, ein Parteigenosse. Es ist ironisch: beide sollten durch ein Mißtrauensvotum ihr Amt verlieren. Allerdings brachte im letzteren Fall der Kanzler selbst den Ball ins Rollen. Nun haben wir das historische zweite Mal einer Großen Koalition, die gleich zu Anfang mit einem Verfassungsbruch aufwartet und es ehrlich gesteht. Die Situation in der BRD ist nicht einfach. Diesmal kämpft sie nicht mit einer Rezession, dafür hat sie hohe Arbeitslosenzahlen. Noch ein Wirtschaftswunder dürfen wir aber nicht erwarten. Aber Veränderungen: es steht die Föderalismusreform an, die die Mehrebenenpolitik entflechten soll. Das würde zum Beispiel bedeuten, daß der Bundesrat etwas an Kompetenz verliert, da nicht mehr so viele Gesetze seiner Zustimmung bedürften. Damit würde die BRD reformfähiger. Aber nicht alle Neuerungen werden begrüßt. Über das Vorhaben, die Mehrwertsteuer heraufzusetzen, scheint sich schon jetzt der Ärger breit zu machen.

Gespannt darf man auch auf die neue deutsche Außenpolitik sein. Merkel hatte schon zuvor andeuten lassen, dass sie von den USA keine kalten Schultern erleben will. Das Weisse Haus wartet auf ihren Besuch. Anders könnte es mit Russland stehen - Männerfreundschaft ist passé und nur noch im privaten Bereich möglich, denn Schröder zieht sich ganz aus der Politik zurück. Intensiver mit den USA, höchstens gleichbleibend mit Russland, dürfte die Devise der neuen Regierung sein. Und China? Welche Worte werden Bundeskanzlerin und Außenminister für die Menschenrechtspolitik des wachsenden Riesen finden?

Noch eine große Herausforderung wartet auf Lösungen: die Europäische Union. Die EU hat zahlreiche Beitritte gehabt, erlebt vielleicht sogar eine gewisse Überdehnung, aber sie tritt auf der Stelle. Die Verfassung ist erstmal gescheitert. Inwieweit wird sich die Große Koalition unter Merkel bemühen, die Europäische Integration voranzubringen? Deutschland hat eine führende Rolle in der EU. Und der EU fehlt ein Konzept.

Wenn die Große Koalition vier Jahre schafft, wird sie wahrscheinlich keine weiteren vier Jahre regieren. Die Bevölkerung wird insbesondere auf die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen schauen und ob sie sich im Wohlstand beschnitten sieht. Die Aufgaben lassen also nichts zu wünschen übrig. Wenn es nicht glatt geht, liegt es nicht allein an der Regierung. Demokratie - bemühen sollten wir uns alle.





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